Ideen für die Zukunft
Eine der wichtigsten Aufgaben der DWIH ist es, den Transfer von Forschung in die Anwendung zu fördern. Ende September 2022 hatten junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler beim Falling Walls Lab San Francisco die Gelegenheit, ihre Ideen vorzustellen und sich mit Partnern zu vernetzen.
Seegras gilt als Geheimwaffe im Kampf gegen den Klimawandel. Ein Quadratkilometer der Meerespflanze speichert fast doppelt so viel Kohlenstoff aus klimaschädlichem CO2 wie die gleiche Fläche Wald an Land. Zudem wächst es unglaublich schnell, kann seine Biomasse innerhalb einer Woche verdoppeln. Deshalb wird aktuell mit großen, mobilen Seegras-Farmen experimentiert, die von Schiffen über die Ozeane gezogen werden. Leider rechnet sich diese Methode nicht: zu schwer die Konstruktionen, zu energieintensiv der Transport.
Der junge KI-Forscher Marius Wiggert von der University of California (UC) Berkeley, hat dazu eine clevere Idee. Warum nicht die kraftvollen, großen Meeresströmungen nutzen, um die Seegrasfarmen auf dem gewünschten Kurs zu halten. Auf dieselbe Weise bewegen sich auch Meeresschildkröten über tausende von Kilometern, ohne zu ermüden. Die Strömungen selbst werden von einer auf Machine Learning basierenden Steuerungssoftwäre detektiert und angesteuert. „Navigating Seaweed Growth Platforms by Leveraging Ocean Currents and Machine Learning“ heißt Wiggerts Projekt, das er zusammen mit dem MIT umsetzen möchte und am 28. September 2022 beim Falling Walls Lab San Francisco vorstellte, das vom dortigen Deutschen Wissenschafts- und Innovationshaus (DWIH) organisiert wurde.
Interdisziplinäre Jury
„Für uns war diese Premiere sehr wichtig, um uns als neue Institution in der Bay Area zu etablieren und uns gerade unter jüngeren, aufstrebenden Forscherinnen und Forschern bekannt zu machen“, berichtet Dr. Zahar Barth-Manzoori, Direktorin des Hauses, das Ende April 2023 als insgesamt sechstes DWIH weltweit seine Arbeit aufnahm. 29 Bewerberinnen und Bewerber aus Universitäten der gesamten Region hatten sich für das Falling Walls Lab beworben; 16 Finalistinnen und Finalisten wurden schließlich für einen jeweils dreiminütigen Pitch eingeladen und von einer siebenköpfigen, transatlantisch und interdisziplinär aufgestellten Jury beurteilt. Zu den Jurymitgliedern zählten unter anderen der Germanist Professor Jeroen Dewulf und die Chemikerin Professor Ting Xu, beide von der Berkeley University, sowie die deutsche Personal- und Organisationspsychologin Professor Sabine Remdisch von der Leuphana Universität Lüneburg.
Marius Wiggert konnte sich mit seiner Idee aus dem Themenfeld Umwelt und Klima den zweiten Platz sichern, während der Sieger des Events an einem revolutionären Ansatz aus dem Bereich der medizinischen Forschung arbeitet. Der Molekularbiologe und Unternehmer Dr. Vishnu Sunil hat ein Verfahren entwickelt, mit dem sich ein blutstillendes Material zu Wundversorgung herstellen lässt. Es basiert auf Nanostrukturen und ermöglicht eine schnelle Blutgerinnung. Dadurch soll das Risiko von Blutverlust und Nachblutungen erheblich verringert und gleichzeitig Infektionen vorgebeugt werden. „Dieses Material kann flexibel auf Mullen, injizierbare Pellets und Wundballons aufgetragen werden, um verschiedene Blutungssituationen zu behandeln“, erklärt Sunil, der aktuell als Innovation Fellow bei Novartis in Emeryville tätig ist. Ein Patent ist schon angemeldet worden, derzeit laufen Tests in der klinischen Anwendung.
Wichtige Kontakte nach Deutschland
Events wie das Falling Walls Lab sind eine gute Gelegenheit für junge Forscher wie Marius Wiggert und Vishnu Sunil, sich weiter zu vernetzen und Unterstützer für ihr Projekt zu gewinnen. „Wir helfen natürlich sehr gerne dabei, die entsprechenden Kontakte zu vermitteln“, bekräftigt Zahar Barth-Manzoori. „Im Grunde ist das ja auch eine unserer Hauptaufgaben als Institution: spannende Ansätze aus der Wissenschaft durch Kooperationen weiter zu fördern und mithilfe von Partnern aus der Industrie in die Anwendung zu bringen.“ Vishnu Sunil ist aus Singapur in die Bay Area gezogen, „um das pulsierende Ökosystem der Start-ups zu nutzen, Netzwerke zu bilden und Kontakte zu knüpfen“, wie er sagt. „Ich wollte einfach sicherstellen, dass ich die Mentoren und Ressourcen habe, die ich brauche, um meine Forschung vom Labor in die Nutzung für Patientinnen und Patienten zu bringen.“
Dabei spielt auch die transatlantische Dimension eine wichtige Rolle. Wie alle ersten und zweiten Plätze der weltweiten Falling Walls Labs hatten auch Wiggert und Sunil die Gelegenheit, zur großen Abschlussveranstaltung nach Berlin zu reisen, die jedes Jahr im November in der deutschen Hauptstadt stattfindet. Vishnu Sunil hebt den Wert der Reise hervor: „Die Teilnahme am Falling Walls Lab in Berkeley und an der Berlin Science Week war eine großartige Erfahrung, da ich dort nicht nur viele hoch qualifizierte Forscher und Wissenschaftler kennengelernt, sondern auch einen Einblick in das Start-up-Umfeld in Deutschland bekommen habe, und die Möglichkeiten, die es bietet, um große Technologieunternehmen aufzubauen.“
Klaus Lüber