Vier Fragen für Martin Rauchbauer
Im Vorfeld unserer Veranstaltung „The Bay Area’s Reinvention Through Culture and Innovation“ im Oktober 2023 hatten wir Gelegenheit, Martin Rauchbauer, der sein Sabbatjahr in der Bay Area verbringt, zu interviewen. Der hochrangige österreichische Diplomat hat die noch junge Disziplin der der Tech-Diplomatie maßgeblich geprägt und engagiert sich für die transatlantische Tech-Diplomatie und digitale Menschenrechte. Martin Rauchbauer hat zudem das Konzept eines digitalen Humanismus‘ als Strategie der österreichischen Außenpolitik erarbeitet.
Bitte erzählen Sie uns ein wenig über sich und wie Sie zur Kulturdiplomatie gefunden haben?
Von meiner Ausbildung her bin ich ein Berufsdiplomat und war über zwanzig Jahre im Dienst des österreichischen Außenministeriums. Berufsdiplomaten sind grundsätzlich Generalisten, aber rückblickend lässt sich sagen, dass der Schwerpunkt meiner Arbeit immer auf der Kulturdiplomatie lag. Österreich ist kein besonders wichtiger Akteur auf der politischen Weltbühne, wohingegen das kulturelle Erbe Österreichs und unsere aufstrebende zeitgenössische Kunstszene beeindruckend sind. Für mich war es immer sehr bereichernd, Kulturdiplomatie zu betreiben. Es war wesentlich leichter, sich mit Menschen aus der Kunstszene auszutauschen. Während meiner Dienstzeit in Mexiko-Stadt, New York und San Francisco fanden meine Gesprächspartner die österreichischen Kunstschaffenden viel interessanter als unsere Politiker bzw. Außenpolitiker. Gleichwohl werden Kunstschaffende häufig unterschätzt und missverstanden oder – wie es manchmal im Silicon Valley der Fall ist – sie werden als nutzlos oder unbrauchbar empfunden. Ich teile diese Haltung nicht. Aufgrund ihres nicht-utilitaristischen Charakters ist die Kunst heutzutage von einzigartiger Bedeutung. Vielleicht sind Kunstschaffende unsere Zukunft. Sie eröffnen eine Vorstellung davon, wie die Zukunft möglicherweise aussehen wird.
Wie kamen Sie auf das Konzept der Tech-Diplomatie? Auf welche Weise ergänzt Tech-Diplomatie herkömmliche Diplomatie?
Tech-Diplomatie ist eine ziemliche junge Disziplin, die auf der Herangehensweise von Akteuren im Silicon Valley beruht. Sie ist also nicht meine Erfindung, sondern diese Haltung war während meiner Dienstzeit hier in San Francisco bereits im Raum. Seit einigen Jahren haben Staaten begonnen, Tech-Botschafter bzw. Tech-Abgesandte nach Silicon Valley abzustellen. Im Nachgang der Finanzkrise greifen die EU und andere Regionen stärker auf ihre eigenen staatlichen Strukturen und Regulationsmechanismen zurück, um den globalen Einfluss der Big Tech Unternehmen einzudämmen oder zumindest in Zaum zu halten.
Heutzutage ist Tech-Diplomatie auf allen Kontinenten vertreten und ist zu einem Oberbegriff dafür geworden, wie Schlüsseltechnologien das internationale System formen, beeinflussen und umgestalten, während gleichzeitig geopolitische Spannungen und Spaltungen zunehmen.
Einige Privatunternehmen und deren Führungskräfte haben mehr Einfluss auf die Außenpolitik als mittelgroße Staaten. Althergebrachte Vorstellungen von Souveränität sind hierdurch fragwürdig geworden. Aber Regierungsoberhäupter haben realisiert, dass sie hier etwas tun müssen. Ihnen ist klargeworden, dass hinsichtlich Künstlicher Intelligenz, Quantencomputern, Biotechnologie und den Naturwissenschaften eine irgendwie geartete internationale Kollaboration sowie Zusammenarbeit mit Privatunternehmen erforderlich ist. Und hierbei kann die Tech-Diplomatie eine wichtige Rolle spielen.
In vielerlei Hinsicht ist Tech-Diplomatie kaum anders als herkömmliche Diplomatie, aber sie erfordert ein bestimmtes Maß an technischem Verständnis und möglicherweise eine Haltung, die als „kreative Flexibilität“ beschrieben werden kann. Alle künftigen Diplomatinnen und Diplomaten benötigen diese Fähigkeit, um mit der Geschwindigkeit und dem Ausmaß neuer Technologien Schritt halten zu können. Daher habe ich Anfang dieses Jahres das Tech-Diplomatie Netzwerk mitgegründet. Es ist uns ein Anliegen, Diplomatinnen und Diplomaten zu befähigen, ihre Aufgaben entsprechend den heutigen Anforderungen zu erfüllen.
Könnten Sie uns über Ihre Arbeit beim Djerassi Resident Artists Program berichten? Wie definieren Sie das Verhältnis von Technologie und Kunst?
Schon während meiner Dienstzeit in San Francisco habe ich voller Bewunderung die Arbeit des Djerassi Programms verfolgt. Nach meinem Ausscheiden aus dem diplomatischen Auslandsdienst, wurde ich im März 2023 als Geschäftsführer dieser Organisation berufen. Unser Resident Artist Programm in Woodside gibt es schon eine ganze Weile. In diesem Jahr feiern wir das 40-jährige Jubiläum. Unsere Institution ist geprägt durch eine vielfältige Gemeinschaft von Kunstschaffenden, Unterstützerinnen und Unterstützern sowie einen großen Freundeskreis. Aber wir wollen noch weiter wachsen. Unser Hauptanliegen ist es, Resident Artists aus der ganzen Welt zu unterstützen und unser, sich über 600 Acres erstreckendes Gelände in den Bergen von Santa Cruz zu schützen und zu erhalten. Dort können Kunstschaffende bis zu einem Monat lang inmitten der wunderschönen Natur und umgeben von Kunst wohnen. Kunstschaffende aus den verschiedensten Bereichen können sich bei uns bewerben, aber wir beobachten, dass Kunstschaffende heutzutage in zunehmendem Maße aus den neuen Technologien sowie aus dem Spannungsverhältnis Mensch-Maschine Inspiration ziehen. Daher arbeiten wir gerade an der Neuausrichtung unseres Programms hin zu einem Labor für künstlerische Experimente, unter Einbeziehung der Natur in den kreativen Prozess. Es sind also nicht die Kunstschaffenden allein, die in Djerassi Neues gestalten: sowohl kluge Köpfe aus Wissenschaft, Technologie und Philosophie als auch Pflanzen, Tiere, der Pazifische Ozean und sogar Maschinen und Werkzeuge werden zu wichtigen Gestaltenden in unserem Artists-in-Residenz Programm.
Unser Standort ist nur ein paar Meilen vom Herzen des Silicon Valley entfernt, wo das Spannungsverhältnis von Kunst und Technologie aus nachvollziehbaren Gründen von großem Interesse ist. Ja, ich glaube daran, dass Kunst und Technologie füreinander von großer Bedeutung sind. Leute aus dem Technologie-Sektor können von Kunstschaffenden lernen, worum es bei Technologien wirklich geht. Neue Technologien bringen Kunstschaffende dazu, neue Fragen zu stellen, neue Ausdrucksformen zu gestalten, die Grenzen dessen auszuloten, was Technologie kann und was sie können sollte. Insgeheim bewundern und inspirieren sich Kunst und Technologie gegenseitig, ohne dass dies aber offen zugegeben wird. In Djerassi sind wir daher sehr an interdisziplinären Kollaborationen interessiert, da sie einen neuen Blickwinkel auf das eigentliche Wesen von Kreativität eröffnen.
Sie haben schon an vielen Orten der Welt gelebt. Wie würden Sie auf Grundlage dieser Erfahrung eine „resiliente Gesellschaft“ definieren?
Resilienz ist eine der faszinierendsten menschlichen Eigenschaften. Wie gehen wir mit widrigen Umständen, Rückschlägen und Misserfolgen um? Ergibt sich Resilienz aus den Gegebenheiten oder ist sie – in gewissem Ausmaß – eine aktive Entscheidung oder zumindest das Ergebnis eines willentlichen Bestrebens? Für eine Gesellschaft als Ganzes stellt sich diese Frage noch komplexer dar. Einige Gesellschaften erscheinen zunächst resilienter als andere, aber häufig wissen wir nicht warum und auf welche Weise. Man kann nicht einfach die Resilienz einer anderen Gesellschaft kopieren. Es scheint keine Geheimformel, kein Rezept zu geben, das für alle Gesellschaften funktioniert. Für mich ist es extrem faszinierend zu untersuchen, welche Rolle Kunst und Kultur in unseren Gesellschaften zur Ausbildung von Resilienz und Innovationskraft spielen. Das Silicon Valley hat sich früher unter dem starken Einfluss der alternativen Bewegungen in der Bay Area entwickelt. Vielleicht ist es eine neue künstlerische Bewegung, ein Wiedererwachen in der Bay Area, welches den berühmten und manchmal fast berüchtigten Innovationswillen des Silicon Valley für künftige Generationen lebendig erhalten kann.